Stadt jenseits der Zeit

Auf dem Höhepunkt des Krieges zwischen den Elfen und Zwergen vor vielen tausend Jahren wurde die Lage durch das Eingreifen dämonischer Mächte noch verworrener, zumindest aus der Sicht der heutigen Historiker. Ob es nun die Zwerge waren oder die Elfen, die als erste Helfer von jenseits der dunklen Portale heraufbeschworen, das lässt sich heute nicht mehr sagen. Einige Forscher meinen gar, die dämonischen Mächte hätten den Konflikt entweder angestoßen oder später aus eigenem Antrieb und aus Spaß an der Zerstörung am Laufen gehalten, bis das glanzvolle Königreich der Elfen in Schutt und Asche lag, und in den eingestürzten Höhlen der Zwerge nur noch das flehende Echo ferner Todesschreie nachhallte.

Ein bis heute nicht geklärtes Verbrechen ist das Verschwinden einer ganzen Stadt – Zak-El-Anfa, in der sich Zwerge und Elfen versammelt hatten, die sich zur strengen Neutralität verpflichtet hatten. Diese Minderheit wollte sich nicht in einen Krieg hineinziehen lassen, bei dem Magie, Chaos und Drachenfeuer ganze Landstriche zu grauen Ödlanden machten. Weder die Kriegsführer der Elfen, noch die Hammerzwerge der Unterreiche, haben jemals die Verantwortung dafür übernommen, daß die Stadt von einem Tag auf den anderen verschwand und nur ein tiefer Krater aus brodelnder Lava zurückblieb, die bis an die Oberfläche stieg und jede Hoffnung zerstörte, zumindest die sterblichen Überreste der Bewohner finden zu können.

Doch nicht nur Elfen und Zwerge haben dort einen unermesslichen Verlust an Leben zu beklagen – Zak-El-Anfa war auch die heilige Stadt der Zwergengöttin Bondella, einer Herd- und Fruchtbarkeitsgöttin, die eine innige Verbindung zum zwergischen Schmiedegott Belimar besessen haben soll. Leider ist Bondella mit der Stadt verschwunden. Gebete an sie wurden nicht mehr beantwortet und ihre Priester verloren mit einem Schlag alle Kräfte. Der Kult des Herdfeuers und der Familie zerfiel in kürzester Zeit und die Göttin geriet in Vergessenheit, so daß es heute unklar ist, ob Bondella Gefährtin oder Schwester des Belimar war. Der Verlust jedenfalls hat den Zwergengott derartig in Rage versetzt, daß er der Legende nach um der aufsteigenden Lava Einhalt zu gebieten einen ganzen Berg auf die Stelle schleuderte, an der Zak-El-Anfa einst stand.

Mittlerweile ist buchstäblich Gras über die Sache gewachsen. Sicher, manchmal versuchen Schatzsucher und Magier noch, den genauen Ort und Überreste zu finden, doch keine der Expeditionen war wirklich erfolgreich. Einige Reste der Stadtmauer und der Eingangstore in die Stadt konnten freigelegt werden, so daß zumindest die Umrisse der Stadt zu erahnen sind. Den Schätzungen nach lebten damals über eine Million Seelen in und unter der Stadt. Bis heute gab es keine Hinweise, was vor über zehntausend Jahren wirklich mit der Stadt der Elfen und Zwerge geschehen ist.

Bis heute.

Denn in der Wildnis des alten Königreiches, das nun mehr seit Jahrtausenden eine Heimat für Monster und Bestien ist, eben dort hat eine kleine Gruppe abenteuerlustiger Zwerge einen ausgemergelten Elfen gefunden. Halb wahnsinning vor Hunger und namenlosen Schrecken, die ihm widerfahren zu sein schienen, stammelte er vor sich hin. Gemeinsam überlegen die Zwerge, ob sie ihn liegen lassen oder mitnehmen sollten („Nur ein toter Elf ist ein guter Elf.“ „Tot ist er nichts wert.“ „Lasst ihn uns doch in der nächsten Orksiedlung verkaufen.“ „Dann können wir ihn auch gleich selbst umbringen.“ „Hm...“). Da vernimmt einer von ihnen, ein Priester des Belimar, die Worte Zak-El-Anfa – und wird für einen Moment ganz still und steht mit gesenktem Kopfe da. Als er wieder aufblickt, ist sein Blick durchdringend geworden und seine ganze Haltung wandelt sich, während eine Hand fest das heilige Symbol des Schmiedehammers umfasst, das an einer silbernen Kette um seinen Hals hängt.

Und so entdeckt Belimar, anwesend daselbst in einem seiner unbedeutendsten Priester, einen Teil des Puzzles. Dieser Elf, der da vor ihm liegt, kommst aus der verschwundenen Stadt – und hat anscheinend keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist. Fast, als wäre er durch die Zeit gereist. Der Priester streicht sich in einer gedankenverlorenen Geste über den Bart und wird wieder er selbst. Sein Gott hat ihm sein Bewusstsein zurück gegeben und die klare Anweisung: „Bringt diese Elendsgestalt sofort in den nächsten Tempel, lasst euch von nichts und niemandem aufhalten!“

Aber während der Priester für einen Moment weg- und sein Gott hinzugetreten war, hat die laute Unterhaltung der anderen Zwerge eine marodierende Gruppe von Giganten angelockt – drei Stück an der Zahl, angeführt durch einen fast ebenso großen Jotan-Riesen. Bevor der Zwergenpriester um göttlichen Beistand bitten kann, wird er vom Fuß eines Giganten plattgetreten, und das folgende Gemetztel überlebt keiner der Abenteurer. So bleibt die Erkenntnis, daß die verschwundene Stadt noch existiert – irgendwo, irgendwann – einzig und allein dem Zwergengott Belimar vorbehalten. Oder so scheint es zumindest …